Das Leben ist ´ne Soloprobe?

Wie wir unser Leben als Soloprobe verstehen können und warum das mehr als Sinn macht.
von Martin A. Ciesielski

Mein Bühnenformat die „Soloprobe“ ergab sich vollkommen organisch aus meiner Impro-Arbeit. Ich liebe es, Solo auf der Bühne zu spielen und probe dazu regelmäßig im Theaterhaus Berlin Mitte. Was liegt da näher, als diese Probenarbeit auf die Bühne zu bringen?
Viele Menschen hatten mich immer wieder gefragt, wie man eigentlich für Solo-Impro-Theater probt. Was dabei passiert. Welche Formate es gibt.

Schnell war die Idee geboren, die Probenarbeit auf die Bühne zu bringen. Ähnlich wie beim Playback-Theater gibt es zu Beginn einen längeren Austausch mit einzelnen Besuchern im Publikum. Was sie so treiben, arbeiten, die letzte Woche getan haben. Dabei verbinden sich die Geschichten der Menschen und auch die, die nur zuhören, beginnen Verbindungen zu knüpfen. Im Kopf, emotional und auch zu den einzelnen Erlebnissen. Wo ist mir etwas ähnliches passiert? Wie ist mein Verhältnis zu diesem Beruf? Wie hätte ich in der Situation reagiert?

Nach dieser Phase löse ich mich vom Publikum und erkläre, dass die Soloprobe nun beginnen wird. Dass ich die Bühne verlassen werde und wenn ich wiederkommen, die Bühne mein Probenraum sein wird. Der Probenraum, in den ich mindestens einmal die Woche gehe. Diese Probe wird inspiriert sein von den Geschichten und Gedanken, die ich aus den Gesprächen mit dem Publikum mitgenommen habe. Name werden auftauchen. Situationen. Themen aus den Publikumsgesprächen.

Wenn ich dann die Bühne verlassen habe und einige Minuten vergehen lasse, komme ich als der Poben-Spieler wieder. Die vierte Wand steht nun(zumindest noch zu Beginn). Ich habe eine Tasche mit, in der ich meine Probenschuhe habe. Ich wechsel sie gegen die „Straßenschuhe“, hole meine Trinkwasserflasche aus der Tasche und das Solo beginnt.

Zu sehen sind Figuren, die mittendrin sind im Weltgeschehen. In tagesaktuellen Ereignissen, in Märchen und in klassischen Dramen. Die Themen unserer Zeit werden verhandelt. In Geschichten. Fragmenten. Monologen und absurden Situationen. Figuren, die wieder auftauchen. Eben noch als Sagengestalt, im nächsten Moment als Kollegin. Dann wechselt die Szene zu einer eher pantomimischen Szene mit einer Schnecke. Alles bin ich. Ich gehe hinein, verkörpere die Tiere, die Menschen, die Berufe und Monstren. Alles steckt in mir. Der Fisch, der Trump, die Steuererklärung. Ich bin es, verkörpere ich, lasse die Personen und Dinge durch mich sprechen. Das Medium bin ich.

Womit wir beim Kern des Formats wären: Das Solo ist eigentlich gar kein Solo. Es macht unsere Abhängigkeiten deutlich. Das kollektive Unbewusste, dass uns denken und fühlen lässt. Dem Zeitgeist gemäß. Unseren familiären Erfahrungen gemäß. Unserer aktuellen Stimmung gemäß. Wir werden stets und jederzeit getriggert, inspiriert, provoziert. Wieso denken wir gerade den Gedanken, den wir denken? Woher kommt genau dieser Impuls, das zu denken und nichts anderes? Hätte es nicht unendlich andere Möglichkeiten gegeben?

Was gibt uns die Leitplanken unserer Denkens und Fühlens vor? Worin sind wir gefangen und was können wir durch Freude, Leidenschaft und Mut durchbrechen? Mit Hilfe der anderen – egal ob es sie wirklich gibt oder nicht?

Es ist ein Spiel mit der Geisterwelt, die uns umgibt. Den Stimmen, die wir hören. Den Stimmen, denen wir Ausdruck geben. Den Stimmen, die durch uns sprechen. Die aus uns hervorbrechen wollen. Unsere innere Vielfalt. Eine naehzu unendliche Vielfalt an Identitäten, Möglichkeiten unsere Leben zu leben. Wie verhalten wir uns? Warum genau so und nicht anders?

Solo-Improvisation. Ist es nicht genaus das Format, das wir jeden Tag spielen. Wir, vermeintlich solo, vermeintlich Individuen, aber die ganze Zeot dabei unserem Umfeld gerecht zuwerden. Die ganze Zeit dabei, uns an unserem Umfeld abzuarbeiten. Uns zu suchen und zu finden und im nächsten Moment auch schon wieder zu verlieren?

Das, was wir im Alltag nahezu unbewusst „spielen“ und tun, macht uns das Format der Solo-Probe bewusst. Sie zeigt, wie wir eigentich mit den Impulsen fließen könnten. Uns ihnen hingeben könnten, wenn wir nicht „WIR“ sein müssten. Wenn unsere Identitäten fluider sein könnten. Fließender. Wenn wir wie Wasser zusammenlieben könnten, mein Freund. Was dabei entsteht ist ein gemeinsames Fließen von mir mit den Rollen, den Figuren, den Angeboten und Situationen. Den Stimmungen und Geschichten. Mit dem Publikum und seinen Geschichten. Mit dem Leben.
Freiheit. Ein Gefühl von Freiheit durchdringt das Theater – bis die Probe endet.

Lose Gedanken, lose Ideen aus der Probe werden versucht zu fixieren. Sätze, Formulierungen werden in das Probenbüchlein eingetragen. Laut ausgesprochen und notiert. Eine Zusammenfassung. Ein Abschluss. Ein Abschlussritual. Die Schuhe werden gewechselt. Ein letzter Schluck aus der Wasserflasche. Dann verlasse ich den Probenraum/die Bühne.

Kehre zurück zu meiner Solo-Probe im wahren Leben. Wo auch immer das ist.

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